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Rezepte mit Geschmäckle: Algea Care, die Bloomwell Group und Ilios Sante 1/2

Disclaimer: Die Autorin dieser Kolumne möchte anonym bleiben.

Mit dem Bloomwell-Konstrukt um Algea Care erleben wir ein Deja-vu, welches uns in das Jahr 2018 zurückkatapultiert. Damals schob sich das deutsche Gesundheits-Start-Up Hapa-Medical mit seinem Seed-to-Patient-Modell ins Blickfeld deutscher Hanffreunde. Hapa Medical versprach damals, die schwierige Versorgung mit Medizinischen Cannabis sowohl am Punkt der Verschreibung, als auch bei der Herstellung proaktiv mitzugestalten. Zumindest bei der Verschreibung von Cannabis-Rezepten setzt nun auch Algea Care mit über 8.000 vermittelten Patienten neue Maßstäbe.

Doch lasst uns doch einen Blick in die Vergangenheit werfen: Deutschland 2018, das Healthcare Start-Up Hapa Medical plante, in Deutschland sogenannte «Cannabis-Kliniken» zu etablieren, wo potenzielle Cannabis-Patienten einen Arzt konsultieren können und für ihr jeweiliges Leiden ein Cannabis-Rezept verschrieben bekommen. Zusätzlich war die Errichtung einer Kultivierungs-Stätte für medizinisches Cannabis in Griechenland geplant, wo das verschriebene Cannabis hergestellt werden sollte. Rezept und Cannabis aus einer Hand – das gab damals Anlass zur Kritik und auch das Echo der restlichen Cannabis-Gemeinschaft in Deutschland fiel nicht allzu positiv aus. Zumal die Verschreibung der Cannabis-Blüten über die Hapa-Medical-Kliniken rein auf Privatrezept möglich gewesen wäre – obwohl sie nach außen kommunizierten, dass fest eingeplant sei, den Service auch für Kassenpatienten verfügbar zu machen. Wie diesem Artikel zu entnehmen ist, schien es jedoch kein triviales Unterfangen gewesen zu sein:

Zum ersten Punkt hat sich HAPA-Medical bei uns bereits gemeldet. Sie hätten die kassenärztliche Zulassung beantragt, allerdings dauere das Zulassungsverfahren ein Jahr. Ein Anruf bei der zuständigen kassenärztlichen Vereinigung in Berlin hat jedoch ergeben, dass in einem Fall wie bei HAPA-Medical noch nie eine kassenärztliche Zulassung erfolgte. Sicher kann also noch nicht gesagt werden, ob HAPA-Medical irgendwann auch für Kassenpatienten eine bezahlbare Praxis sein wird. Auf Grund der Einschätzung der Pressesprecherin der KV Berlin rechne ich jedoch nach wie vor nicht damit.

Der Hauptkritikpunkt am Geschäftsmodell war dementsprechend die «elitäre Cannabis-Legalisierung für Rapper und Gutverdiener». Denn mit der Legalisierung von Cannabis als Medizin 2017 in Deutschland fiel schnell auf, dass mit Cannabis in Verbindung stehende Prominente sich schnell ein Rezept besorgten, meist für teuer Geld bei Ärzten, die sich auf das Verschreiben von Cannabis für Privatpatienten spezialisierten. In diesem Artikel wird von Therapiekosten von 250€ pro Behandlungstermin bei Hapa Medical berichtet.

Eine soziale Ungerechtigkeit, denn die Kosten für die Ausstellung der Rezepte waren somit genauso schwindelerregend wie die Rechnungen der Apotheken an die Cannabis-Patienten, welche durch die Privatrezepte der Cannabis-Ärzte ihre Medizin selbst zahlen mussten. Einige Ärzte wie Dr. Rolf Müller aus München gerieten wegen der Spezialisierung auf Cannabis-Therapie in letzter Konsequenz auch ins Visier der Staatsanwaltschaft, wie die Münchner Abendzeitung im Juni 2018 berichtete.

Schwierigkeiten bei der Verschreibung von Medizinischem Cannabis in Deutschland

4 Jahre nach dem Hapa-Medical-Stunt befindet sich erneut ein Player auf dem deutschen Medizinal-Cannabis-Markt, welcher sich der Verschreibungs-Problematik annimmt. Denn Cannabis in Deutschland als Medizin zu verschreiben, ist stark reglementiert. Somit werden Cannabis-Patienten-Bewerber mit der Nachfrage nach einer Cannabis-Therapie in der Regel von ihren Haus- und Fachärzten nur milde belächelt. Wie diesem Artikel von Pharma Relations aus dem Juni 2021 zu entnehmen ist, verschrieben 2021 nur etwa 2% aller deutschen Ärzte medizinisches Cannabis!

Als white label Medikament darf Cannabis für die meisten Diagnosen bisher lediglich verschrieben werden, wenn alle alternativen, mit klinischen Studien untermauerten Therapie-Formen bereits nachweislich ausgeschöpft wurden und dabei keine Linderung oder ein hohes Aufkommen von Nebenwirkungen festgestellt wurde.

Die Hürden zur Verschreibung von Cannabis werden zudem nicht zuletzt durch aufwändige Bürokratie im Abrechnungs- und Betäubungsmittelwesen hoch angesetzt, was Ärzte aus nicht-medizinischer Sicht zusätzlich einschüchtert.

Und in genau diesem regulatorischen Dschungel kommt Algea Care ins Spiel und findet für über 8.000 Patienten als konformer Vermittler einen cannabisfreundlichen Arzt. Was sich Algea Care natürlich fürstlich entlohnen lässt - so fürstlich, dass die Ärztekammer Hamburg gesetzliche Höchstgrenzen in der Berechnung der Behandlungskosten gesprengt sieht. Doch dazu später mehr.

Algea Care nähert sich dem Cannabis-Praxis-Modell mit mehr Vorsicht

Nachdem 2018 und 2019 Unternehmer und Ärzte mit einer ähnlichen Idee wie Algea Care vorerst gescheitert sind, hat Algea Care 2020 einen erneuten Anlauf zur Realisierung der Vision Cannabinoid-Praxen genommen – jedoch schaumgebremst und mit Vorsichtsmaßnahmen. Rezepte werden nach eigenen Aussagen nicht für Patienten ohne Behandlungs-Vorgeschichte verschrieben, nach außen richten sich die Leistungen ausdrücklich an austherapierte Patienten oder jene, die trotz langer Therapie-Geschichte mit ihrer momentanen Therapieform nicht zufrieden sind. Da hat Dr. phil. Lars Atorf, Director of PR & Communications bei Algea Care, die Kritik am Lifestyle-Rezept also scheinbar ernst genommen.

Und überhaupt, Algea Care tritt trotz mindestens zweier Dr. meds in den eigenen Reihen gar nicht als Arztpraxis auf, sondern vermittelt vielmehr Patienten zu Partnerpraxen in aktuell 23 deutschen Städten, wie ihrer Website am heutigen Datum zu entnehmen ist.

Wie leichtfertig Algea Care’s Partnerpraxen Rezepte an Patienten mit kurzer Therapie-Vergangenheit vergibt, bleibt für uns natürlich unergründet. Zumindest habe ich in der Instagram-Story von Sahras_Weedangels gesehen, dass sie von Algea Care anscheinend für eine Cannabis-Therapie abgelehnt wurde.

Es gibt auch darüber hinaus weitere Indizien, dass die über Algea Care vermittelten tausenden Patienten also tatsächlich bereits über eine Therapie-Vergangenheit mit anderen, besser erforschten Medikamenten verfügen. Daran kann also kaum Kritik geäußert werden, solange wir da nicht in die tiefere Recherche gegangen sind.

Rezepte verschreiben UND Arzneimittel vertreiben: Die Verbindung von Algea Care und Ilios Sante

Die Kritik kann im Fall von Algea Care unmöglich auf ein „Livestyle-Rezept“ gelenkt werden – denn zumindest oberflächlich betrachtet ist dies nicht das Geschäftsmodell der Firma. Jedoch muss sich Algea Care der gleichen Kritik stellen, wie damals auch schon Hapa Medical: Ist es vertretbar, unter einem Deckmantel sowohl ganz spezielle pharmazeutische Produkte, in dem Fall Cannabis, zu vermarkten, als auch jene speziellen pharmazeutischen Produkte, in dem Fall Cannabis, zu verschreiben?

Denn augenscheinlich wird mit einer Anmeldung zu einer Cannabis-Therapie bei Algea Care nicht darauf gesetzt, beim ärztlichen Beratungs-Termin in der Partner-Praxis die bestmögliche Medikation für den Patienten zu finden, sondern eben eine Cannabis-Therapie zu realisieren. Heißt im Umkehrschluss, selbst wenn dem Patienten Kamille am besten helfen würde, wird nach erfolgreicher Prüfung der Bewerbungs-Unterlagen und Eignung des Patienten mit Abgleich der Erwartungshaltung des Patienten die Durchführung einer Cannabis-Therapie angestrebt.

Es wird also im Therapie-Verlauf hauptsächlich Cannabis als Medikament eingesetzt, zumindest in dem Teil der Therapie, den Algea Care als Vermittler unterstützt. Dieses Cannabis muss der Patient natürlich in der Apotheke beziehen, der behandelnde Partner-Arzt bekommt dabei Therapie-Richtlinien und Arbeitsabläufe von Algea Care’s betriebseigenen Ärzten Dr. med. Wichmann und Dr. med. Schmidberg unterstützend gestellt.

Das Problem der Verfügbarkeit von Cannabis-Sorten in den Apotheken und ihrer unterschiedlichen therapeutischen Effekte

Bei der Behandlung mit Cannabis ist eine der größten Schwierigkeiten für die verschreibenden Ärzte, im Therapieverlauf immer die Sorten zu verschreiben, die auch bei Apotheken an Lager sind. Heißt, im Zweifelsfall muss der behandelnde Arzt sich immer wieder mit den Eigenschaften der lagernden Sorten auseinandersetzen und bei Fehlen bewährter Sorten auf Alternativen umsteigen. Bei über 50 medizinischen Cannabis-Sorten in deutschen Apotheken natürlich ein unheimlich großer Aufwand, wenn die Medizinal-Cannabis-Distributoren nicht umfangreich über ihre Sorten informieren. Informationen für Ärzte sind oft hinter speziellen Logins der medizinischen Cannabis-Anbieter versteckt, der Zugang zu Informationen ist also nicht unbedingt trivial.

Da Algea Care ihre Partnerärzte vor allem in unternehmerischen Prozessen und der Gewinnung neuer Patienten unterstützt, hat das Gesundheits-Unternehmen somit ein schweres Informations-Gewicht bei den über dreißig Partner-Ärzten in Deutschland.

Wenn man bedenkt, dass Teil von Algea Care’s Mutter-Unternehmen Bloomwell Group auch noch der auf Medizinal-Cannabis spezialisierte pharmazeutische Großhändler Ilios Sante ist, liegt es nicht fern, die leise Vermutung anzustellen, dass den Partner-Ärzten von Algea Care an der einen oder anderen Stelle auch mal die eigenen Sorten von Ilios Sante mit besonders aufschlussreichen Informationen vorgestellt werden, zum Beispiel ihr Klenk 18/1. (Anmerkung der Red.: Diese Aussage ist natürlich mit Augenmerk auf den Konjunktiv zu lesen, denn wie uns in einer Facebook-Reaktion zu diesem Artikel noch mal bestätigt wurde, erhält der Arzt natürlich die Freiheit bei der Auswahl der spezifischen Sorten. Eine andere Rückmeldung eines Algea Care Patienten bestätigt wiederum die dargelegte Vermutung, laut ihm werde sehr deutlich versucht, spezielle Online-Apotheken und Sorten zu empfehlen. Wir lassen das so stehen).

90% der deutschen Patient:innen haben es auch ohne Algea Care über den üblichen Dienstweg zum Cannabis-Rezept geschafft

Aber selbst ohne die Verschreibung der eigenen Strains: Algea Care hat mit der Verschreibung von Cannabis und der Abrechnung von Tele-Beratungsterminen auch ohne die Verschreibung der eigenen Cannabis-Blüten bereits eine seines gleichen suchende Cashcow erschaffen. Denn was 90% der Cannabis-Patienten in Deutschland auch ohne die Inanspruchnahme teurer Vermittlungs-Dienstleistungen geschafft haben, lässt sich Algea Care für ihren Anteil am Patienten-Kuchen vergleichsweise fürstlich entlohnen:

Wie die Rüge der Ärztekammer Hamburg vom 22.5.2022 zeigt, schöpfen sie dabei alles aus, was die Gebührenordnung der Ärzte zulässt - und sogar noch ein bisschen mehr. Denn Algea Care wird des Verstoßes gegen die Gebührenordnung für Ärzte bezichtigt - auf Grund in Rechnung gestellter, aber nicht geleisteter Leistungen sowie des Anlegens zu hoher Steigerungssätze. Im konkreten Fall wurde wohl beispielsweise die Erstellung eines Arztberichtes in Rechnung gestellt, obwohl dieser nie ausgestellt wurde.

Laut ACM, der Arbeits-Gemeinschaft für Cannabis als Medizin, welche auch den Ball der falschen Abrechnungen ins Rollen brachte, komme Algea Care bei ihren aktuell 8000 Patienten damit auf einen Monatsumsatz von knapp 1 Million Euro – nicht schlecht für einen Patienten-Vermittlungs-Service! Und besonders bemerkenswert: Von dieser einen Million Euro pro Monat für Behandlungskosten konnte kein Cent von einer gesetzlichen Krankenkasse abgerechnet werden. Ob das sozial gerecht oder ungerecht ist, sei mal frei in den Raum gestellt.

In Teil 2 dieser Kolumne widmet sich die Autorin dem Gründer-Team hinter Algea Care und der Bloomwell Group und stellt auf den Prüfstand, wie sehr sie ihren Prinzipien treu sind.

Bildquelle: Unsplash